Leseprobe Teil 3 von 3: „Harko und der Kunstprofessor“
Zu Fuß ging Georgos weiter den Hügel hinauf. Tatsächlich: Je weiter er vorankam, desto plastischer wurden die Gebilde, desto stärker waren sie bearbeitet. Der Anteil von Holz wurde weniger, der Stahlanteil nahm zu.
Als Georgos vor dem letzten Kunstwerk stand, grinste ihn ein Koloss aus Stahl an – fast vier Meter hoch, doch eindeutig mit menschlichen Zügen: Mächtige Augenbrauen über dunklen Höhlen, ein höhnisch lächelnder Mund, riesige Arme. Und ein Penis, auf den sogar ein Elefant neidisch gewesen wäre.
Georgos stand jetzt vor der Einfahrt zum Grundstück des Künstlers, und sah sich einem auffälligen Schild gegenüber: KIR ART.
Erst stutzte Georgos, dann schmunzelte er: Ein Teil von Kerkira, dem griechischen Namen Korfus, und Art, dem englischen Wort für Kunst, zu einem neuen Begriff kombiniert. Das Ganze in Edelstahl gefräst, mit blauem Glas hinterlegt, in der Mitte die Umrisse der Insel, ebenfalls aus dem Stahl herausgearbeitet und anschließend leicht erhöht wieder eingefügt. Man mochte über die Kunst des Professors denken, was man wollte: Als Designer war er jedenfalls gut.
Dann verstand Georgos, was der Professor mit seinem angeblichen Kunstwerk beabsichtigte: Es sollte Besucher auf sein Grundstück locken, wie ein gewaltiger Wegweiser, mehr als einen halben Kilometer lang.
Nachdenklich strich sich Georgos Katsatopoulos über seinen Schnauzbart. Die Idee war gut, da gab es keinen Zweifel. Selbst wenn einem Betrachter die Kunstobjekte nicht gefielen: Die Neugier wurde auf jeden Fall geweckt. In einer Stadt, dachte Georgos, würden die Objekte für Aufsehen sorgen und sicher Besucher in Scharen anlocken. Doch hier auf dem Land? In Afionas?
Vassilis hätte niemals seine Einwilligung zu dieser riesigen Werbe… – ja, was denn eigentlich? Werbe-Kunst? Georgos überlegte, ob bereits ein Wort für diese Objekte existierte, doch er bezweifelte es – vermutlich war vor Professor Hintermooser noch niemand auf die Idee gekommen, seine Werke derart massiv ins rechte Licht und, dessen war sich Georgos sicher, des Nachts sogar in die rechte Beleuchtung zu setzen.
Doch es half nichts, wenn er versuchte, Verständnis für den Professor zu entwickeln: Die Einwohner von Afionas wollten nichts wissen von dieser Vergewaltigung durch Kunst und der Professor hatte das Vertrauen des Ortsvorstehers missbraucht. Da es sich hier um eine öffentliche Straße und nicht um einen Privatweg von Professor Hintermooser handelte, hatte die Forderung der Afioniten Vorrang.
Innerlich schmunzelnd, äußerlich um ein möglichst seriöses Aussehen bemüht, ging Georgos zurück zum Wagen. Im Rückspiegel kontrollierte er, ob auch nicht das kleinste Anzeichen von Lächeln in seinem Gesicht zu finden war. Als er mit seinem grimmigen Gesichtsausdruck zufrieden war, startete er den Motor und fuhr den Rest des Weges hoch zur Einfahrt.
Oben am Haus, das wie ein Krähennest mitten in den steilen Hang gebaut war, stand der Professor auf der Terrasse und winkte Georgos zu. Georgos fuhr die steile Zufahrt hoch und stellte den Jeep auf einem kleinen Parkplatz ab.
Er war neugierig auf das Domizil des Künstlers, er kannte es nur von der Straße her und da war außer einigen imposanten weißen Wänden nicht viel zu sehen. Jetzt erkannte Georgos, dass es nicht nur eines, sondern in Wahrheit drei Häuser waren – reichlich viel für einen allein lebenden Mann. Das linke Gebäude, zugleich das größte, war offensichtlich das Wohnhaus, das rechte, deutlich kleiner und durch ein großes Rolltor wie eine Garage wirkend, schien die Werkstatt zu sein: Georgos sah durch das halb geöffnete Tor viel Stahl, viel Holz und viele Maschinen. Nur mit dem mittleren Gebäude konnte Georgos nichts anfangen – ein Flachbau mit großen Fenstern. Die Fensterläden waren zugeklappt, weshalb der Blick ins Innere verwehrt war. Auch die große, zweiflügelige Tür war geschlossen.
Aus dem linken Gebäude trat jetzt der Professor, lächelnd kam er auf Georgos Katsatopoulos zu.